Die 1. Stegreifaufgabe im Fach Geografie der 7. Klasse ist für mich wieder einmal Anlass für einen Blog-Artikel.
Anmerkung: Ich bevorzuge die Schreibweise Geografie gegenüber Geographie. Die ältere Schreibweise wird in unserem Gymnasium verwendet. Da Eltern vermutlich in Suchmaschinen häufiger die ältere Schreibweise als Suchbegriff eingeben, taucht sie auch in diesem Artikel einmalig im Titel auf.
Der Thema Europa war schon einmal in der 4. Klasse Schwerpunkt einer HSU-Probe. (Hier findet ihr den alten Artikel: HSU Probe in der 4. Klasse) Damals kritisierte ich die sehr schlechte Qualität des Arbeitsblattes. Kaum zu glauben, dass sich das auch 3 Jahre später nicht geändert hat. Dazu später mehr.
Erdkunde, Geographie oder Geografie … bezeichnet ein Fach, das ich für sehr wichtig halte. Insbesondere kann man meiner Meinung nach nicht früh genug damit beginnen, den Kindern ein gesundes Verständnis für Europa zu vermitteln. Viele aktuelle Diskussionen in den Medien (vor allem, was die politische Situation Europas betrifft) beweisen, dass noch viel Bildungsarbeit geleistet werden muss. In diesem Artikel geht es aber nicht um Politik, sondern um Erdkunde.
Entsprechend lautete die erste Aufgabe:
1. Die Landschaftszonen Europas
Dazu gab es eine kleine Zeichnung, in der grob die 5 (plus 1) wesentlichen Landschaftszonen Europas eingezeichnet waren.
Also sorry, so richtig gut erkennbar ist diese Zeichnung nicht. Ich wage ja gar nicht mehr, nach Farbzeichnungen zu rufen, aber mal im Ernst: habt ihr das „F“ sofort im Bild entdeckt? „Wieso „F“?“, fragt ihr. „Es geht doch nur von „A“ bis „E“, erkennt man doch an der Aufgabe.“ Irrtum, es gibt ein „F“, auf das sich später die Teilfrage 1.4 beziehen wird. Wenn ihr mögt, könnt ihr das Bild für eine vergrößerte Darstellung anklicken, vielleicht wird es dann deutlicher. 18 Minuten Zeit für die gesamte Stegreifaufgabe inklusive dieses Suchspiels. Was wird hier geprüft? Kenntnisse in Geografie oder die Sehleistung der Schüler?
Achja, wo steckt eigentlich das „B“? Das ist auf dem Original-Ausdruck übrigens etwas besser erkennbar.
Aufgabe 1.1. Benenne die verschiedenen Landschaftsformen Europas.
Hier wird reines Faktenwissen abgefragt, das entsprechend schlichtweg auswendig gelernt werden muss. (Seite 33 im Buch Seydlitz 7 Geographie – Gymnasium Bayern)
A: Tundra
B: Nadelwald (Taiga)
C: Sommergrüner Laub- und Mischwald
D: Hartlaubvegetation
E: Steppe
3 BE für 5 Antworten … irgendetwas habe ich dann wohl doch übersehen. Es fehlt mir ein halber Punkt.
Aufgabe 1.2. Nenne die typische Vegetation für die Landschaftszonen A und E.
Die Antworten finden sich im Erdkundebuch auf der Seite 32.
A: Zwergsträucher, Gräser, Moose und Flechten
B: Graslandschaften
1.3. Erkläre, warum es in Europa überhaupt verschiedene Landschaftszonen gibt.
Auch diese Antwort finden die Schüler auf Seite 32. Es geht um die Anpassung der Pflanzen an die verschiedenen Klimazonen.
1.4. Erkläre, warum in der Karte der Bereich F separat eingezeichnet ist.
Tja, und da haben wir ihn, den geheimnisvollen Bereich F, die Area 51 auf der Europakarte weiter oben. Bei genauerem Hinsehen kann man den Buchstaben F schließlich ausmachen.
Aber welche Landschaftszone ist denn gemeint? Die große graue, die sich um das Mittelmeer herum ausdehnt, aber eigentlich mit D bezeichnet ist? Schade, Farben würden hier für Klarheit sorgen.
Ihr habt Recht, es geht um das Hochgebirge. Dazu gehören natürlich nicht nur die Alpen, sondern auch einige andere Gebirge in Europa. Ein Schüler hätte unter Umständen darauf kommen können, wenn er sich die Grafik im Erdkundebuch auf Seite 33 gut gemerkt hätte. Dort werden die Hochgebirge nämlich erwähnt und gut (in Farbe … wenn auch in grauer Farbe 🙂 ) dargestellt. Wer gedacht hat, F soll Italien, Frankreich und/oder die Schweiz darstellen, hat eben Pech gehabt. Ich hätte es besser gefunden, wenn das Thema „Vegetationszone Hochgebirge“ nicht in Form eines Suchspiels angeboten worden wäre, sondern durch eine klare Frage. Mein Sohn wusste die Antwort bezogen auf das Hochgebirge zwar, interpretierte die grafische Darstellung allerdings so, dass die Hartlaubvegetationszone gemeint war. Faktenwissen vorhanden, trotzdem null Punkte!
Die Aussagekraft der Gesamtnote ist so gesehen ziemlich fragwürdig. Was mich auf eines meiner Lieblingsthemen bringt: Noten. Wie war das noch mal? Ihr müsst in den nächsten 2 Wochen in der Lage sein, 30 Liegestützen zu machen, sonst gibt es eine schlechte Note. Wie bitte? Es ist für mich absolut pervers, Kindern im Fach Sport Noten zu geben. Was ist denn das Ziel des Sportunterrichts? Den Kindern vielseitige Bewegung zu ermöglichen … wäre meine Antwort. Wie kann man Kinder, die sich vor allem in diesem Alter alle körperlich sehr stark voneinander unterscheiden, über einen Kamm scheren und nach dem gleichen Schema F (da haben wir wieder unser ominöses F) beurteilen? Die Kinder können sich in der Körpergröße durchaus um 30 Zentimeter unterscheiden (Quelle: Wachstumskurve Jungen), werden aber beispielsweise beim Hochsprung oder beim Laufen trotzdem nach gleichen Kriterien benotet. Das ist Schwachsinn.
Aber zurück zu Erdkunde bzw. Geografie.
Die nächsten beiden Blöcke prüften das Grundwissen der Schüler.
2. Grundwissen: Klimadiagramm
2.1. Beschreibe folgendes Klimadiagramm. Benutze die passenden Fachausdrücke.
Diese Grafik ist hervorragend erkennbar. So sollte es immer sein. Sie lässt allerdings Spielraum für die Interpretation, bei welcher Kurve es sich um den Niederschlag und bei welcher um die Temperatur handelt. Sicher … es liegt auf der Hand. Aber wissenschaftlich sind solche subjektiven Annahmen nicht. Eine Beschriftung der beiden Kurven mit „Niederschlag“ und mit „Temperatur“ wäre zu empfehlen. Das zu Grunde liegende Problem ist übrigens wieder einmal die fehlende Farbdarstellung. Im Erdkundebuch wird die Temperaturkurve rot und die Niederschlagskurve blau dargestellt, allerdings fehlen auch dort die Bezeichnungen bzw. eine Legende.
Das Thema Klimatabelle wird im Erdkundebuch auf den Seiten 28 bis 30 behandelt.
In dieser Aufgabe sollten die folgenden Fachbegriffe verwendet werden:
1. humid
2. arid
3. Maximum
4. Minimum
5. Amplitude
Für die Erklärung der Begriffe gab es je einen halben Punkt. Zusätzliche Punkte gab es bei Maximum und Minimum für die Nennung der Werte und des Zeitpunktes.
3. Grundwissen: Topographie Europas
Benenne folgende Städte (1-2), das Meer (A), den Fluss (a) und das Gebirge (I).
Liebe Lehrer, das ist doch nicht euer Ernst, oder? Im Original ist diese Grafik ca. 8×8 cm groß.
Die enstprechende sehr gute Grafik im Erdkundebuch findet sich auf Seite 11.
Die Antworten:
1: Kiew
2: Brüssel
A: Nordsee
a: Don
I: Karpaten
Don? Kennt doch jeder, ist ein sehr wichtiger Fluss! Ohne Don keine 1 in Erdkunde! Hier mehr Infos zum Don.
Liebe Lehrer, so geht es nicht! Bitte verwendet brauchbares Material in euren Stegreifaufgaben und Schulaufgaben. Macht den Schülern das Leben doch nicht noch schwerer als es ohnehin schon ist.
Die Inhalte dieser Geografie-Stegreifaufgabe sind durchaus angemessen (bis auf den Don, über den ich immer noch lache), aber bitte bereitet die Aufgabenblätter so vor, dass ihr nicht die Interpretationsfähigkeit oder die Sehleistung der Kinder prüft, sondern das Fachwissen.
Ergänzung (11.12.2012):
Ich habe der Erdkunde-Lehrerin einen Brief geschrieben, in dem ich mehrere der oben genannten Punkte angesprochen habe. Insbesondere wollte ich aber auch eine nicht nachvollziehbare Benotung thematisieren.
Es ging um Aufgabe 1.1, die Benennung der verschiedenen Landschaftszonen Europas. Mein Sohn hatte alle fünf erwarteten Begriffe korrekt hingeschrieben, ließ sich dann aber (möglicherweise wegen des Prüfungsdrucks) irritieren. Daher strich er vier der fünf Antworten durch und schrieb dann so etwas wie „Nördliches Meerklima“ hin. Kind, das war nicht schlau! Glücklicherweise erkannte er das selber und machte die Lehrerin am Ende der Stegreifaufgabe auch genau auf dieses Missverständnis aufmerksam.
Es half alles nichts: er bekam nur für die eine übrig gebliebene Antwort einen halben Punkt und seine Note wurde in Folge um eine Stufe abgewertet.
Was bitteschön wird denn hier beurteilt? Ich habe ja verstanden, dass Lehrer unbedingt Kinder miteinander vergleichen und aussieben wollen. Ich habe auch verstanden, dass deswegen der Wissensstand der Schüler regelmäßig in Stichproben überprüft und bewertet wird. Aber hier war das Wissen ja eindeutig vorhanden!
Hat mein Sohn durch das Durchstreichen der korrekten Antworten etwa gleichzeitig damit das Wissen aus seinem Gehirn gestrichen? Welchen Sinn hat eine Stegreifaufgabe, wenn sie das Wissen gar nicht bewertet?
Oder sind Lehrer über jede Möglichkeit froh, wo sie das ganze Notenspektrum ausnutzen (gemäß Sabine Czerny) und wieder einen Schüler abwerten können? Und tschüß, du Loser!
Im Antwortschreiben der Erdkunde-Lehrerin wird die Verunsicherung einfach mit den folgenden Worten wegdefiniert:
Der Begriff „Landschaftszone“ ist der korrekte Fachausdruck und da die Überschriften in Schulheft und -buch diesen beinhalten, sollte er in einer Stegreifaufgabe nicht zu Verunsicherungen führen.
Hat er aber.
Zum durchgestrichen Fachwissen heißt es schlichtweg:
Durchgestrichene Antworten werden generell nicht gewertet.
Kann ich nachvollziehen, sagt dann aber leider nichts über den Wissensstand eines Schülers aus. Die Benotung ist damit völlig wert- und sinnlos.
Übrigens bin ich ja nicht der Einzige auf dem Planeten, der Noten für Unsinn hält. Ursula Leppert war Lehrerin an einem bayrischen Gymnasium und schreibt in ihrem viel beachteten Buch Ich hab eine Eins! Und Du?: Von der Notenlüge zur Praxis einer besseren Lernkultur: „Schulnoten lügen – darunter leiden Lehrer genbauso wie Schüler und Eltern. Ursula Leppert zeigt das in Beispielen und Interviews und beweist, dass Noten ein logisch und systemisch falsches Instrumentarium zur Leistungsbewertung sind. Aber es gibt bildungspolitische und individuelle Wege zu einer Lernkultur, die Mut machen …“ (von der Rückseite des Buches abgeschrieben).
Wenn ihr das Buch lest, werdet ihr ständig zustimmend mit dem Kopf nicken.
Weitere Artikel zum Fach Geographie.
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Noch mehr Artikel zum Thema Schule.
Guten Tag,
Ich bin gerade zufällig auf diesen Blog gestoßen und möchte kurz etwas sagen. Ich werde nicht auf alles eingehen, aber zumindest auf einen Punkt. Ich bin selbst angehender Lehrer und finde es gut, dass Sie sich Gedanken machen und recherchieren. Die erste Zeichnung ist wirklich schlecht erkennbar, jedoch kann die Lehrkraft zu Beginn der Stegreifaufgabe darauf hinweisen. Und nun der eigentliche Punkt: Das Klimadiagramm. Die Schüler lernen, dass wenn die Temp.-Kurve sich oberhalb der Niederschlagskurve befindet, man von aridem-Klima spricht und man den Bereich zwischen den Kurve nicht kennzeichnet (bei farbigen Diagrammen wird die Fläche einfach nur gelb ausgemalt), wie man dies macht, wenn die Niederschlagskurve über der Temperaturkurve liegt. Dann nämlich kennzeichnet man die Fläche zwischen den Kurve mit vertikalen Linien. So ist also auch bei einem schwarz-weiß Klimadiagramm alles klar ersichtlich.
Und ich empfehle Ihnen nicht einen Blog zu schreiben, sondern mit dem Lehrer zu reden, wenn Sie dies für angebracht halten. Wobei die Punkte vergabe (Zitat: „Es fehlt mir ein halber Punkt.“) Sache des Lehrers ist und nicht ihre.
Viele Grüße
Zusatz:
Ich habe ihren Zusatz gerade erst bemerkt.
Ich nehme den Punkt zurück, dass sie sich an die Lehrkraft wenden sollen. Dies finde ich auch gut.
Die Bewertung der Lehrerin ist korrekt und Sie muss in diesem Fall auch konsequent sein, da sonst sehr viele Schüler kommen werden und sagen werden „Da steht es doch aber!“ auch wenn sie es durchgestrichen haben. Wenn etwa durchgestrichen wird, kann dies nicht mehr in die Bewertung eingehen. Dies kennen sie vielleicht selbst aus ihrer Studien- oder Ausbildungszeit.
Hallo Henning,
vielen Dank für Ihren Kommentar.
Ich denke nicht, dass man bereits in der 7. Klasse die gleichen Maßstäbe an Schüler anlegen sollte wie während eines Studiums.
Letztendlich sollen Noten aber (so wird es jedenfalls immer wieder von Lehrern behauptet) den Wissensstand eines Schülers bewerten und dokumentieren. Wenn ein Schüler noch bei der Abgabe der Stegreifaufgabe auf sein Missverständnis hinweist, dies aber von der Lehrkraft ignoriert wird, so hat das nichts mehr mit Konsequenz zu tun, sondern vielleicht schon mit Bösartigkeit. Ich räume allerdings ein, dass ich selber in der Situation nicht vor Ort war und mich deswegen nur auf die Informationen beziehen kann, die mir bekannt sind. Es kann sich also durchaus auch anders abgespielt haben.
Zu dem halben Punkt. Vielleicht habe ich mich nicht ausführlich genug ausgedrückt. Wenn ich 5 Fragen habe und die jeweils mit 0,5 Punkten bewerte, komme ich insgesamt auf 2,5 Punkte und nicht auf 3 Punkte. Irgendeine dieser Teilfragen muss also anscheinend 1 BE wert gewesen sein. Das kann ich aber dem Aufgabenblatt nicht entnehmen. Es könnte natürlich auch sein, dass die Angabe 3 BE schlichtweg falsch gerechnet wurde.
Und es gibt noch eine weitere Möglichkeit: Auf der Zeichnung selber gibt es ja die Buchstaben A-F. Die Teilaufgaben sind aber nur mit A-E beschriftet. Möglicherweise wurde hier Frage F einfach vergessen, aber trotzdem bewertet.