Ich gebe es zu …. ich habe kein Elektroauto. Mein Hyundai i10 fährt ganz ordinär mit Benzin. Warum zögere ich noch? Gibt es doch mit dem Hyundai Kona elektro ein ziemlich interessantes Elektroauto. Foto des Hyndai Kona Elektro Mit dem Kona kommt man über 400 km weit. Es sind dieselben Gründe, von denen man immer wieder in den Medien hört:
  • Hohe Anschaffungskosten
  • Geringe Reichweite
  • Zu wenig Ladesäulen
Gut … es tut sich langsam etwas. Schauen wir mal … Im Gespräch mit anderen Menschen höre ich immer wieder:
Wenn alle einen Elektrowagen fahren würden, dann bräche das Stromnetz in Deutschland zusammen.
Das klingt plausibel. Es gäbe sehr viele Autos, die sehr viel Strom (ver-)bräuchten. Aber stimmt das denn eigentlich?

Wieviel Strom brauchen Elektroautos?

Foto eines Stromzählers

Bildquelle: pixabay.com

Ich habe mir gedacht, dass ich das einfach selbst mal nachrechnen könnte. Basis für die Zahlen sind diverse, frei zugängliche Quellen im Internet. Rechnen wir also mal durch, was so ein Auto im Jahr an Strom braucht. Laut der Website Elektroauto News liegt der Stromverbrauch von Elektroautos derzeit bei 11,5 kWh (Hyundai Ioniq Elektro) bis 23,3 kWh (Tesla Model S P90D). Der Einfachheit halber nehme ich mal 15 kWh zum weiteren Rechnen. Wieviel Kilometer fährt man denn so im Durchschnitt im Jahr? Bei mir sind es 25.000 km, aber das ist wahrscheinlich schon recht viel. Kommt ihr im Jahr auf 25.000 km? Nehmen wir mal einen etwas kleineren Wert, nämlich 20.000 km im Jahr. 20.000 km im Jahr bei einem Verbrauch von 15 kWh pro 100 km im Durchschnitt ergibt einen Strombedarf von 3.000 kWh. Das klingt schon mal ganz schön viel. Andere Leute können ihre Wohnung damit ein Jahr lang betreiben. In Deutschland gibt es laut dem Kraftfahrt-Bundesamt zum 01. Januar 2018 56,5 Millionen Kraftfahrzeuge. Dabei werden LKWs und Motorräder mit dazugezählt. Wieder der Einfachheit wegen erhöhe ich auf 60 Millionen. Wenn also ab sofort sämtliche Kraftfahrzeuge in Deutschland mit Strom fahren würden, bräuchten sie 60 Mio mal 3.000 kWh im Jahr.
Das ergibt fette 180 TWh (= Terawatt-Stunden).
Stellt sich die Frage, ob das viel ist, verglichen mit dem Strom, der in Deutschland erzeugt wird. Oder könnt ihr so aus der Hüfte heraus etwas mit dem Wert 180 TWh anfangen? Ich nicht.

Wieviel Strom erzeugt Deutschland?

In einer idealen Welt vebrennen wir keine Kohle für Strom und wir zerstückeln auch keine Atome dafür. Aber die Frage, woher der Strom kommt, schieben wir hier mal beiseite. Um die gigantischen 180 TWh einordnen zu können, müssen wir wissen, wie viel Strom insgesamt in Deutschland erzeugt wird. Wenn ich der Wikipedia glauben darf, so waren das im Jahr 2017 654,8 TWh.
In Prozent: 180 Terawatt-Stunden entsprechen fast 30 Prozent der derzeitigen Stromproduktion.

Haben wir genug Strom für alle Autos?

Wenn wir 30 Prozent der Stromproduktion nur für die Elektroautos benötigen, haben wir definitiv ein Problem. Allerdings können wir nicht davon ausgehen, dass tatsächlich alle Autos auf einen Schlag auf einen Elektroantrieb umgestellt werden. Tatsächlich gibt es laut Kraftfahrt-Bundesamt zum 01. Januar 2018 gerade mal 54.000 reine Elektrofahrzeuge. Rechnen wir doch schnell mal den Strombedarf für diese Autos aus: 54.000 x 15 kWh / 100 km = 810.000 kWh / 100 km Bei einer Fahrleistung von 20.000 km im Jahr ergibt das 162 GWh (= Gigawatt-Stunden).
Das entspricht also bei 655 TWh Gesamtstromproduktion 0,025 Prozent.
Der aktuelle Strombedarf kann also eher vernachlässigt werden. Er muss noch nicht mal zusätzlich produziert werden, weil Deutschland nach einem Bericht des Fraunhofer Instituts im ersten Halbjahr 2018 ca. 22 TWh exportiert hat. Unsere Bundeskanzlerin hatte sich für das Jahr 2020 einen Bestand von 1 Mio Elektroautos gewünscht. Alle sind sich einig, dass dieses Ziel nicht erreicht werden kann. 1 Mio Elektroautos entsprächen dann einem jährlichen Strombedarf von 3 TWh, also etwa 0,5% der Stromproduktion im Jahre 2017. Auch 3 TWh werden leicht von den 22 TWh Exportüberschuss (im Halbjahr) abgedeckt. Mit 22 TWh Exportüberschuss in einem halben Jahr, also 44 TWh im Jahr könnten wir insgesamt 15 Mio Elektroautos in Deutschland fahren lassen, ohne dass dies unseren sonstigen Stromverbrauch belasten würde. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Keine Panik Schild Dabei ist der geplante weitere Ausbau der regenerativen Stromerzeugung nicht einmal berücksichtigt. Wie viele Elektroautos tatsächlich in den nächsten Jahren auf deutschen Straßen fahren, weiß kein Mensch. Es gibt dazu verschiedene Studien, auf die ich hier gar nicht verlinken möchte, weil sich die Zahlen komplett unterscheiden. Nur kurz: McKinsey erwartet bis 2030 einen Anteil von 7%, die TU München sieht bis 2035 bereits einen Anteil von über 30%. Wie auch immer … es wird noch eine Weile dauern, so dass nicht mit einem exorbitant hohem zusätzlichen Strombedarf zu rechnen ist.

Und was ist mit dem Stromnetz?

Foto mit Hochspannungsmasten

Bildquelle: pixabay.com

Der zusätzliche jährliche Strombedarf ist auf absehbare Zeit eher zu vernachlässigen, wie wir eben nachgerechnet haben. Ein Problem gibt es aber, wenn sich alle Stromer gleichzeitig an eine Steckdose oder Ladesäule hängen. So unwahrscheinlich dieses Szenario auch erscheinen mag, so ist es doch sinnvoll, smarte (um mal nicht das Wort „intelligent“ zu verwenden) Ladesysteme zu entwicklen, die das Laden der Fahrzeuge steuern.
Piktogramm mit einem Elektroauto an einer Ladesäule

Bildquelle: pixabay.com

Stellt euch vor, dass ihr abends nach Hause kommt und euer Auto über Nacht aufladen wollt. Hier könnten die Ladevorgänge über einen größeren Zeitraum automatisch so gesteuert werden, dass in einer Region nicht alle Autos gleichzeitig geladen werden. Noch konkreter: Zwei Autos mit jeweils einer benötigten Ladezeit von vier Stunden könnten nachts automatisch nacheinander geladen werden. Am Morgen wären beide trotzdem voll geladen startbereit. Die automatische Steuerung der Ladezeiten entlastet die Infrastruktur. Man sollte dabei berücksichtigen, dass Elektrofahrzeuge im täglichen Betrieb nicht „leer“ gefahren werden, wie man das von seinem Benziner oder Diesel her kennt. Stattdessen hängt man die Fahrzeuge immer dann an eine Ladestation, wenn gerade eine verfügbar ist. Meist steht das Auto tagsüber oder nachts nur herum und kann dann „intelligent“ nachgeladen werden. So ist es durchaus vorstellbar, dass unsere Autos in Zukunft auch beim Einkaufen oder bei einem Kinobesuch nachgeladen werden. Es wird überall Ladestationen geben. Die Telekom startet gerade damit, graue Verteilerkasten um Stromladefunktionen zu erweitern. Nachzulesen ist das im Heise Artikel „Elektro-Mobilität: Telekom nutzt Verteilerkästen für Elektroauto-Ladestationen“ vom 05.11.2018. Auf diese Weise verteilen sich die Ladevorgänge über die ganzen 24 Stunden und Spitzenbelastungen des Stromnetzes können vermieden werden. Noch nicht abschätzbar ist, wie sich die Technik der Akkus in den nächsten Jahren weiter entwickeln wird. Akkus werden wahrscheinlich höhere Kapazitäten haben und sich schneller laden lassen. Das kann die Spitzenlast erhöhen, sorgt aber auch dafür, dass die Leistung des Stromnetzes nur kurzzeitig benötigt wird. Stromanbieter wie die Stromnetz Berlin GmbH sehen hier auch bei einem Marktanteil der Elektroautos von 20% (zumindest für Berlin) keine Probleme, wie der Geschäftsführer Thomas Schäfer in seiner Keynote am 11.04.2018 auf der „Hauptstadtkonferenz Elektromobilität 2018“ ausführte. Andere Stromanbieter wie Vattenfall arbeiten derzeit an einer so genannten Schieflasterkennung und Phasenvertauschung, was das Laden an heimischen Steckdosen optimieren soll. Eine Erläuterung dieser Entwicklungen würde den Rahmen dieses Artikels allerdings sprengen.

Und der Strom für die Herstellung?

Bleibt am Ende noch das Argument zu besprechen, dass Elektroautos in der Herstellung mehr Energie verbrauchen als Autos mit Verbrennungsmotor. Das Thema „Umweltbilanz von Elektroautos“ möchte ich gerne auslassen. Mir geht es um den Strombedarf. Hier nur kurz der Verweis auf einen Artikel der „Spektrum der Wissenschaft“ aus dem November 2017. Leider konnte ich keine genauen Vergleichzahlen zum Energiebedarf bei der Herstellung von Elektroautos und Autos mit Verbrennungsmotor finden. Die Industrie nennt keine Zahlen und die Forschung darf wohl keine Zahlen nennen. In allen Untersuchungen geht es meist um den Ausstoß von Kohlendioxid. Dieser hängt aber maßgeblich davon ab, auf welche Weise der Strom erzeugt wird.

Strom aus Kohle ist dreckiger als ein Benzin-Motor

Foto von einer Kohlekraftwerkanlage

Bildquelle: Vattenfall

Naja, sagen wir mal so, die Elektroautos haben ja zunächst nichts damit zu tun, wo der Strom herkommt. Ziel muss es ohnehin sein, von der Verstromung von Kohle wegzukommen, egal, für was wir diesen Strom verwenden. Energie ist grundsätzlich unbegrenzt verfügbar, solange es Menschen gibt. Wind, Wasser und Sonne wird es immer geben. Es geht halt darum, diese Energieformen zu nutzen. Und da sehe ich eigentlich ganz positiv in die Zukunft. Es wird wohl noch eine Weile dauern, aber das Ziel ist ja allgemein anerkannt, oder? Und spätestens dann, wenn wir unseren gesamten Strom aus regenerativen Energiequellen gewinnen, hat sich die Frage nach dem Stromverbrauch von Elektroautos sowieso erledigt. Update 06.01.2019: Einen sehr bemerkenswerten Artikel zum Thema „Graue Energie“ bzw. „energetischer Rucksack“ gibt es auf dem Blog der „interessengemeinschaft Elektromobilität Berlin-Brandenburg“: Auch Verbrenner fahren mit Strom!. Achtung! Der Artikel ist ziemlich lang. Aber wenn ihr nur zwei oder drei Sätze zu dem Thema lesen wollt, werdet ihr das Niveau eines Stammtischgesprächs nicht hinter euch lassen. Update 30.03.2019: Im Handelsblatt gab es ebenfalls einen ausführlichen Artikel zum Thema „Graue Energie“ bei Verbrennungsmotoren: So viel Strom brauchen Autos mit Verbrennungsmotor. Es ist schon erstaunlich, wieviel zusätzlicher Energiebedarf für Elektroautos tatsächlich übrig bleibt, wenn man die Energie abzieht, die für Herstellung, Transport, Lagerung und Verkauf von Benzin, Diesel, Öl, AdBlue, Katalysatoren usw. anfällt.