Wie seit jeher wird in der Schule das gelernte Wissen mit Hilfe von Tests überprüft, bei uns in der Grundschule „Probe“ genannt. Für den Übertritt in die weiterführenden Schulen ab der 5. Klasse ist der Durchschnitt aus den Noten in Deutsch, Mathematik und „Heimat und Sachkundeunterricht“ (HSU) wichtig. Dementsprechend hoch ist auch der Druck auf die Kinder, gute Noten in den Proben zu erreichen. Allgemein anerkannt ist, dass dieses Schulsystem für unsere Kinder nicht unbedingt das beste ist, um sich zu selbstständigen, lernwilligen und mit gutem Allgemeinwissen ausgestatteten Menschen zu entwickeln. Am 11. Dezember musste mein Sohn eine HSU Probe schreiben. Entsetzt und niedergeschlagen waren wir, als wir uns den dafür zu lernenden Stoffumfang ansahen. Nur schnell als Liste: Ärgerlicherweise ist das vermittelte Wissen unvollständig (die Wörnitz gilt zum Beispiel ebenfalls als Zufluss zur Donau, wurde aber im Unterricht nicht gelernt). Ein paar einfache Tests mit unserem Sohn zeigten uns bereits viele Tage vor der Probe, dass wir als Eltern zur intensiven Nachhilfearbeit gezwungen waren. So musste Heiko fast zwei Wochen lang jeden Abend nach der Schule noch ein bis zwei Stunden mit uns üben. Da hatte er aber schon immer einen langen Tag in der Schule und die danach zu erledigenden Hausaufgaben hinter sich. Für Sport und Spiel blieb in dieser Zeit leider nur sehr wenig Zeit, und nicht nur einmal war unser Sohn den Tränen nahe. Wir haben uns natürlich alle Mühe gegeben, den Nachhilfeunterricht mit ihm entspannt und ruhig zu gestalten. Leider war der zu bändigende Stoff derart, dass es auf ein bloßes Auswendiglernen hinauslief, denn einen Bezug zum Beispiel zwischen Spanien und Portugal konnte er noch nicht herstellen, so dass diese Länder eine Zeit lang an völlig verschiedenen Stellen Europas vermutet wurden.
Europa Karte

Europakarte

Wir nutzten Deutschland- und Europakarten, die wir aus dem Internet beschafften und so bearbeiteten, dass sie als leere Arbeitsblätter verwendbar waren. Meine Hoffnung war, dass ein ständiges Wiederholen das Wissen festigen würde. Natürlich zeigte sich auch langsam der erwartete Erfolg. Dennoch war die zur Verfügung stehende Zeit absolut nicht ausreichend, um das gesamte Wissen einzuprägen. Autokennzeichen, Wahrzeichen und Wappen mussten wir deswegen auslassen. Für uns als Eltern war es extrem belastend zu sehen, wie unser Kind unter dem schieren Umfang des Stoffs mehr und mehr zusammenbrach. Das Problem war, dass selbst wenn nur eine einzige Frage zu einem Wahrzeichen in der Probe käme, dennoch praktisch alle Wahrzeichen gelernt werden mussten. Es nützte ja nichts, wenn man 90 Prozent der Wahrzeichen kannte, die eine gestellte Frage aber nicht beantworten konnte. Dasselbe galt natürlich für alle anderen Themenkomplexe. Wir haben unseren Sohn am Ende sehr für sein Durchhaltevermögen gelobt und ihm erklärt, dass die Note für uns völlig bedeutungslos sei. Wichtig sei nur, dass er sich gut vorbereitete. Mein Verständnis von einer Grundschule ist nicht, dass die Schüler im Unterricht nur den zu lernenden Stoff genannt bekommen, um ihn anschließend zu Hause mit den Eltern zu lernen. Mir ist bewusst, dass die Möglichkeiten der Lehrer bei der Stoffauswahl und bei der individuellen Förderung der Kinder nach wie vor äußerst beschränkt sind, dennoch bin ich der Meinung, dass der Job eines Lehrers der ist, unseren Kindern auf altersgerechte Weise Wissen zu vermitteln (neben all den persönlichkeitsbildenden Aspekten selbstverständlich). Dafür werden Lehrer ausgebildet und dafür werden sie bezahlt. Es kann einfach nicht sein, dass Eltern neben Beruf und Haushalt diesen Job auch noch übernehmen müssen. Gereicht hat die intensive Vorbereitung für eine 3. Es gab allerdings auch Einsen und Zweien in der Klasse, was mich sehr überraschte. Auf der anderen Seite war nach meinem Empfinden die Anzahl der schlechteren Noten ungewöhnlich hoch bei dieser Probe. Im Gespräch mit anderen Eltern ergab sich später, dass wir nicht die Einzigen waren, die diese Probe als unverhältnismäßig umfangreich ansahen.
Wie sah nun die Probe aus?
Grafik zu Aufgabe 1 der HSU Probe in der 4. Klasse

Umrisskarten von Deutschland und Bayern in Aufgabe 1

In der ersten Aufgabe mussten je eine grobe Karte von Deutschland und eine von Bayern benannt werden. Obwohl die beiden Karten nur in sehr schlechter Qualität vorlagen, stellte dies keine große Herausforderung dar. 2) Danach musste in der zweiten Aufgabe das Wappen von Bayern beschrieben und erklärt werden. Vom Wappen gab es eine grobe Schwarz-Weiß-Zeichnung, in der insgesamt fünf Bestandteile mit Pfeilen markiert waren. Die markierten Bereiche sollten kurz erläutert werden.
Dieses Thema hatten wir bei der Vorbereitung ausgeklammert. Dennoch gelang es meinem Sohn, von 6 Punkten noch 2,5 zu bekommen 3a) In der nächsten Aufgabe wurde es schlimm! Wir haben uns mittlerweile ja daran gewöhnt, dass die Schule offensichtlich nicht in der Lage ist, vernüftige Kopien als Arbeitsmaterialien anzufertigen. Wenn dies aber so aussieht wie im folgenden Bild, dann wundert es mich nicht, dass ein Kind damit Schwierigkeiten hat (und dieses Bild ist bereits vergrößert dargestellt):
Scan eines Puzzle Teils aus Aufgabe 3a

Scan eines Puzzle Teils aus Aufgabe 3a

Wenn ich mir das Bild so ansehe, würde ich vermuten, dass mein Scanner eine Macke hat. Dem ist aber nicht so, die Grafik ist wirklich dermaßen schlecht. Von diesen Umrisskarten gab es genau 5. Auf ihnen wurde jeweils einer der sieben Regierungsbezirke Bayerns dargestellt. Zusätzlich waren mehrere wichtige Städte in die Karten eingezeichnet. (Das Bild in Aufgabe a) zeigt übrigens Mittelfranken mit Ansbach als Regierungssitz. Ist doch ganz einfach, oder etwa nicht?) Die Aufgabe bestand darin, unter das Bild den Namen des Regierungsbezirkes zu schreiben und die Landeshauptstadt einzukreisen. Das waren a) Mittelfranken mit Ansbach b) Oberfranken mit Bayreuth c) Schwaben mit Augsburg d) Oberpfalz mit Regensburg e) Unterfranken mit Würzburg Oberbayern und Niederbayern kamen nicht vor. Mein Sohn hat nicht eine einzige Hauptstadt eingekreist, was entweder daran gelegen haben konnte, dass er die Aufgabe nicht vollständig verstanden oder dass er schlichtweg keine Stadt-Bezeichnungen auf den Kartenstücken erkannt hatte. Leider war auch die Benennung der Regierungsbezirke nur teilweise richtig. Hätte man ihm eine Bayernkarte mit den Umrissen der Regierungsbezirke vorgesetzt, hätte er alle richtig benennen und zuordnen können. Davon bin ich überzeugt! 3b) Die nächste Aufgabe baute auf der letzten auf. Nun gab es tatsächlich eine Bayernkarte mit den 7 Regierungsbezirken im Umriss. In jedem war ein kleines weißes Feld, in das der entsprechende Buchstabe des Puzzle-Teils aus der letzten Frage einzutragen war. Zwei Bezirke waren mit einem Buchstaben vorbelegt, da in der letzten Aufgabe nur 5 Bezirke abgefragt worden waren. Diese beiden Regierungsbezirke sollten in einer kleinen Tabelle zusammen mit ihrer jeweiligen Hauptstadt benannt werden. Die beiden vorbelegten Buchstaben konnte Heiko einwandfrei benennen. Auch die Hauptsädte stellten keine Hürde dar. Anders verhielt es sich mit den Puzzleteilen. Hier ging es einzig und alleine darum, die Puzzleteile richtig einzufügen. Es sollte also in jedes kleine weiße Feld der Buchstabe des entsprechenden Teiles aus Aufgabe 3a) eingetragen werden. Jetzt mag man meinen, dass in HSU nicht gepuzzelt wurde, deswegen hat mein Sohn auch nicht die Teile richtig eingeordnet, sondern hat sich an den Bezeichnungen orientiert, die er unter den Teilen eingetragen hatte. So wanderte das Teil, das er als Oberpfalz (falsch) identifiziert hatte, zwar in der Bayernkarte an die richtige Stelle, war aber trotzdem falsch, da er das falsche Puzzleteil benannt hatte. War das verständlich? Also: er hatte unter Teil b) „Oberpfalz“ geschrieben. Richtig wäre d) gewesen. In Aufgabe 3b) hat er in das weiße Feld b) „Oberpfalz“ eingetragen, wo eben auch die Oberpfalz hingehört. Die Oberpfalz war also richtig eingeordnet. Allerdings hätte er dort ja das Teil d) eintragen müssen, was für ihn aber „Unterfranken“ und damit falsch war. Es ging aber gar nicht darum, in der Bayernkarte die Regierungsbezirke richtig einzuordnen, sondern die Puzzleteile. Wer also in 3a) einen Fehler machte, musste zwangsläufig auch in 3b) einen Fehler machen, eine Art Folgefehler. Denn wieso sollte jemand das Teil d) „Unterfranken“ (falsch!) an die Position der Oberpfalz einsetzen? Also wieder kein Punkt, obwohl die Lage richtig war, und darauf kam es ja an und nicht darauf, richtig zu puzzeln. Leider hat er den Umkehrschluss von dieser Aufgabe auf die letzte nicht mehr hinbekommen. Er hätte nun nachschauen können, welches Puzzleteil an die Stelle „Oberpfalz“ passt und die Benennung dementsprechend korrigieren können. Das lag auch daran, dass die beiden Aufgaben auf verschiedenen Seiten der Probe standen. Diese blöde Puzzelei hätte man sich schenken können.
Scan von den Aufgaben 4 bis 6

Scan von den Aufgaben 4 bis 6

4) In Aufgabe 4 mussten auf einer Deutschlandkarte, die sämtliche Bundesländer im Umriss enthielt, vier vorgegebene benannt werden. Das hatten wir bis zum Erbrechen geübt. Ergebnis: Null Fehler! 5) Auch Aufgabe 5 wurde fehlerlos bewältigt. hier ging es darum, in einer Tabelle mit den Spalten Bundesland, Landeshauptstadt und Bezugsnummer (zur Deutschlandkarte der letzten Aufgabe) leergelassene Felder auszufüllen. 6) In der nächsten Aufgabe 6 wurde abgefragt, was Stadtstaaten sind und welche es in Deutschland gibt. Wieder Null Fehler. Geht doch! 7) In Aufgabe 7 mussten 5 Nachbarländer von Deutschland aufgezählt werden. Heiko benannte alle neun und hatte die Aufgabe damit überperfekt gemeistert. Einen Bonuspunkt gab es dafür aber leider nicht.
Scan von Aufgabe 8

Scan von Aufgabe 8

Aufgabe 8 wurde dann wieder schwierig. Es wurden 12 Aussagen gemacht, die als „wahr“ oder „falsch“ markiert werden sollten. Hier tauchte nun genau die weiter oben beschriebene Schwierigkeit auf, dass die Schüler den ganzen Stoff abrufbereit haben mussten, damit sie Aussagen richtig bewerten konnten. Das konnte nur schief gehen, da wir mit unserem Sohn aus Zeitgründen bewusst nicht alle Lerninhalte geübt hatten. Heiko hat sich hier dennoch überraschend gut geschlagen. 9) In der letzten Aufgabe ging es darum, zu sechs vorgegebenen europäischen Ländern die Hauptstädte zu benennen. Hier hatte Heiko ebenfalls wieder null Problemo, also keinen einzigen Fehler. Als Hinweis auf die Qualität der eingesetzten Vorlagen mag die Tatsache dienen, dass das europäische Land „Niederlande“ dort mit „Holland“ bezeichnet wurde. Die Kinder mussten die Länderbezeichnung nach Aufforderung durch die Lehrkraft selber ausbessern. Wenn ich sehe, was in der Grundschule als wichtiges Wissen angesehen wird, dann stellen sich mir die Haare auf. Die Schulzeit wurde um 1 Jahr auf maximal 12 Jahre verkürzt, so dass noch weniger Zeit bleibt, dem Kind all das beizubringen, was es für ein erfolgreiches Erwachsenenleben in unserer sozial meist kalten Gesellschaft benötigt. Dennoch bleibt immer noch Zeit, sich mit so Themen wie der genauen Analyse eines bayerischen Wappens zu beschäftigen. Wer das später wirklich einmal benötigt, muss eh in der Wikipedia nachschauen. Kein Mensch merkt sich das länger als bis zur nächsten Probe, es sei denn, er ist Heraldiker. Kein Mensch muss das Autokennzeichen von Moldawien kennen. Kein Mensch muss wissen, dass die Altmühl in die Donau fließt, es reicht völlig aus, sich mit den längsten Flüssen der Welt oder meinetwegen auch mit den längsten Flüssen Deutschlands zu beschäftigen (die Donau ist der drittlängste Fluss Deutschlands, aber die Nebenflüsse sind nicht wirklich wichtig). Wir haben einfach keine Zeit mehr für solche Lerninhalte. Natürlich kann man darüber streiten, was zur Allgemeinbildung gehören sollte und was nicht. Man muss dabei aber immer berücksichtigen, dass für die Vermittlung des immer weiter anwachsenden Berges an Wissen nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, ja sogar eine kürzere Zeit als sie uns Eltern zur Verfügung stand.
Weitere Artikel zum Fach HSU. Weitere Artikel zur 4. Klasse. Noch mehr Artikel zum Thema Schule. Und ein spezieller Buch-Tipp „Ich hab eine Eins! Und Du?: Von der Notenlüge zur Praxis einer besseren Lernkultur“, der aufzeigt, was man tatsächlich von Noten halten sollte.
Update 14. Oktober 2013: Da das Interesse an diesem Artikel sehr groß ist, habe ich ihn um ein paar weitere Grafiken und Formulierungen ergänzt. Jetzt nach fast vier Jahren empfand ich den Artikel teilweise als schwer verständlich.