Klasse Lehrer! Was Pädagogen heute wirklich leisten müssen

Titel-Überschrift auf dem Focus 41/11

Dies steht auf der Titelseite des Focus 41/11, und der Artikel selber startet mit „Ein Job für Helden„.

Falsch ist, dass Lehrer Pädagogen sind. Zu dem Thema kann man im Internet viel finden, zum Beispiel hier oder hier (14.08.2017 Hinweis: der ursprüngliche Link existiert nicht mehr und wurde deaktiviert: http://stefanie-vogel.suite101.de/lehrer-versus-padagogen-a91276).

Ein guter Artikel, ein Mut machender Artikel. Leider erleben wir als Eltern die Realität anders.

Ich maße mir nicht an, die Arbeitsbelastung eines Lehrers während der Schulzeit und während der Schulferien beurteilen zu können.

Ich maße mir auch nicht an, mir den Stress durch unsere so furchtbar verzogenen oder gar nicht erzogenen Kinder vorstellen zu können.

Mir fallen aber einige Dinge auf, die ich nicht für optimal halte.

Wie war das noch auf einer der ersten Elternkennenlernsprechtage in der 5. Klasse an einem (meiner Einschätzung nach) konservativen bayrischen Gymnasium? Ich stellte dem stellvertretenden Schuldirektor die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, statt Französisch und Latein zumindest alternativ Spanisch oder Chinesisch als zweite Fremdsprache anzubieten. Immerhin sprechen mehr Menschen Spanisch oder Chinesisch als Englisch. (Wikipedia Artikel zu Weltsprachen.)

Die Antwort begann mit den Worten: „Ich nehme mal an, dass Sie diese Frage ernst meinen …“, leicht auf den Füßen wippend.

Wie bitte? Ja, das meinte ich durchaus ernst.

Mal ganz davon abgesehen, dass mich drei Viertel der anwesenden Eltern gerne in der Luft zerrissen hätten, was zu einigem Tumult führte.

Übrigens ist Nordrhein-Westfalen da anscheinend schon weiter, wie man in dem Artikel des Schulministeriums nachlesen kann. Auch die Süddeutsche Zeitung hat das vor kurzem in dem Online-Artikel „Chinesisch an deutschen Schulen“ thematisiert.

Oder wie war das mit den Umgangsformen? Mein Sohn und andere Kinder haben unabhängig voneinander berichtet, dass eine Lehrerin die Kinder gerne mit „Nun halt mal deine Fresse!“ oder „Du hast wohl heute morgen deine Pillen vergessen.“ motiviert. Oder ist dies nur ein Zeichen dafür, dass diese Lehrerin versucht, auf Augenhöhe mit den Kindern zu kommunizieren. Noch mal zur Erinnerung: es geht um die 6. Klasse an einem bayrischen Gymnasium, nicht um wild pubertierende Straßenkinder in einem sozial schwachen Großstadtviertel (die man allerdings genau so wenig auf diese Weise ansprechen sollte!).

Seit Tagen sitze ich wieder fast jeden Tag mit meinem Sohn zusammen, um ihm die Lerninhalte zu vermitteln, die ihm eigentlich tagsüber seine Lehrer erklären sollten. „Ja, wenn du das nicht verstanden hast, dann frag doch noch mal deinen Lehrer“, habe ich zu ihm gesagt. Genau das hätten sie, die Schüler, ja getan. Aber der Lehrer würde den Satz einfach wiederholen und nicht neu oder anders erklären. Und nach dem zweiten oder dritten Mal würden sie dann eben einfach nicht mehr fragen. Soso … na, dann erklären eben die Eltern Bruchrechnung, kein Thema. Ist mein Kind einfach zu dumm für das Gymnasium? Ich glaube das nicht, denn unser Schicksal teilen viele andere Eltern, die nach der Arbeit und nach der Schule versuchen, ihren Kindern die nicht verstandenen Lerninhalte zu erklären … oft fließen Tränen. Wollen wir das?

Was ist von so unklar formulierten Aufgaben (in einem doppelt zählenden großen Leistungsnachweis) zu halten wie von Aufgabe 3 in diesem Artikel?

Ein anderes Beispiel? Hier kommt eins von gestern (also Mathe, 6. Klasse):

Beispiel einer unklaren Mathe-Aufgabe

Beispiel einer unklaren Mathe-Aufgabe

Es ist nicht möglich zu wissen, ob es sich bei dem abgesägten Stück jeweils um das längere oder um das kürzere Ende handelt. Lediglich die angegebene Lösung stellt einen Hinweis dar und kann nach der Berechnung zur Überprüfung des Ergebnisses herangezogen werden.

Und noch ein Beispiel: Jahrgangsstufentest in Englisch 2011, Aufgabe III: Mediation.

Das Problem bei solchen Aufgaben ist, dass es meinem Sohn unter Umständen die Note im Zeugnis verhagelt. Unser ganzes Schulsystem basiert aber auf diesen Noten. Wer eine gute Note hat, gilt als schlau, wer eine schlechte hat gilt als dumm oder faul. Und auch weiterführende Schulen und später Arbeitgeber orientieren sich an diesen Noten. Daher fordere ich, dass Aufgaben absolut klar formuliert werden und keinen Interpretationsspielraum zulassen, soweit dies möglich ist. In den eben genannten Beispielen ist dies möglich.

Meistens liegt es ja gar nicht an den Lehrern, sondern an den vorgegebenen Rahmenbedingungen. So werden Lehrer schon mal gezwungen, schlechte Noten zu vergeben (Auch bei Ihnen muss es Fünfer und Sechser geben).

Und dann das ewige Dilemma, welche Fächer, welche Inhalte wirklich wichtig sind. Jeder sieht das anders.

Ich, zum Beispiel, freue mich darüber, dass mein Sohn bereits in der 6. Klasse das Fach Informatik hat, nur eine Stunde, aber das ist schon in Ordnung. Dass Erdkunde dieses Jahr komplett entfällt und dass Englisch von 6 auf 4 Stunden reduziert wurde, finde ich nicht so schön. Dafür haben wir dann Latein mit 5 Wochenstunden, ein Fach, das ja angeblich die Patentlösung für alle Sorgen dieser Welt ist. Man lernt dann später leichter Italienisch, man wird viel besser in Deutsch, man wird ein Mathe-Genie usw. Hm … statt Italienisch nach Latein zu lernen, würde ich die 5 Stunden doch gleich Italienisch lernen und mir Latein schenken, wenn ich mir denn ein Leben ohne Italienisch nicht vorstellen könnte. Themen, die momentan überhaupt noch nicht im Stundenplan auftauchen, sind Wirtschaft oder Politik. Wenn wir einen Blick auf die Euro-Krise werfen, habe ich den dringenden Verdacht, dass Kompetenz in diesen Bereichen nicht früh genug erlangt werden kann.

Nun kann man in einen Stundenplan nicht beliebig viele Stunden packen. Bleibt die Frage, welche Fächer man entschlacken sollte und welche man eventuell ganz neu gestalten sollte. Spontan denke ich daran, aus Physik, Chemie und Biologie ein gemeinsames Fach Naturwissenschaft zu machen.

Ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Verfügbarkeit von Wissen über mobile Geräte getreu dem Motto „Information at your Fingertips“ (über das ein bekannter Mensch bereits 1990 gesprochen hat. 1995 hat er das Konzept erneut etwas aktualisiert vorgestellt … siehe Video über diesem Absatz) bereits einen Einfluss auf die aktuellen Lehrpläne hat. Viele „Hard Facts“ sind heute überall per Handy abrufbar, auch für unsere Kinder. Sie müssen nicht mehr zwangsläufig auswendig gelernt werden. Stattdessen ist es sinnvoll, die „Soft Skills“ weiter in den Vordergrund zu stellen und mit den Kindern zu trainieren. Dazu gehört zum Beispiel ein großer Anteil an Projektarbeit, nicht aber Frontalunterricht.

Einige Schulen fangen an, den außerordentlichen Wert der neuen Techniken zu erkennen und entsprechend in den Schulbetrieb zu integrieren, so wie die Kaiserin Augusta Schule in Köln (siehe mein Blog-Artikel). Hoffentlich findet dieses Beispiel viele Nachahmer!

Hut ab vor Lehrern, die sich engagieren, die sich für die Kinder interessieren und die mit ihnen arbeiten wollen, so wie sie im Focus-Artikel skizziert wurden. Auch dazu hatte ich hier im Blog schon mal etwas geschrieben. Lese ich dann im Focus, dass sich dieses Engagement beruflich nicht lohnt, weil der Karrierepfad von Dienstjahren und nicht von Leistung abhängt, dann ist das nicht akzeptabel. Gute Lehrer müssen Prämien oder Zulagen erhalten oder andere Belohnungen, schlechte Lehrer müssen abgestraft werden, im Extremfall auch mal aus einer Schule entfernt werden, denn letztendlich geht es um die Zukunft unserer Kinder und damit um die Zukunft von uns allen.

Zum Abschluss ein Zitat aus dem Focus-Artikel:
„Ich verstehe Schulen als Dienstleister und Schüler als Kunden“, sagt der Schulleiter der Gerhard-Hauptmann-Realschule.